17.01.2020

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„Das ham wir immer schon so gemacht!“ – kaum ein Satz ist in deutschen Vorstandsetagen, Meetingräumen und Eckbüros häufiger zu hören. Und kaum ein Satz kostet mehr Geld. Und er steht prototypisch für ein grundlegendes Problem.

Gerade bei der Digitalisierung steht uns dieses Denken immer und immer wieder im Weg. Weil wir so fest in unseren Denkstrukturen verwurzelt sind, fällt es uns schwer, ja ist es uns teilweise ganz unmöglich, daraus auszubrechen und uns vorzustellen, dass es auch anders sein könnte.

„Immer“ ist meist willkürlich und gar nicht so lange

Dabei handelt es sich doch bei den allerwenigsten Dingen um unumstößliche Naturgesetze. Es kommt uns aber so vor, weil wir es nie Frage gestellt haben. Wenn wir aber mal einen Schritt zurücktreten, erkennen wir manchmal: Moment Mal, das muss ja eigentlich gar nicht so sein. Es war auch gar nicht schon immer so.

Beispiel lineares Fernsehen. Vor 20 Jahren kämen wir gar nicht auf die Idee, dass es ganz schön absurd ist, dass irgend ein Gremium in Mainz, München oder Köln festlegt, was wir Sonntags um 20:15 Uhr oder Mittwochs um 15:30 Uhr zu gucken haben. Worauf wir am 21.05.1992 um 22:00 Uhr gerade Lust haben werden. Oder zu haben haben werden.

Jahrzehntelang haben wir halt die Programmzeitschrift aufgeschlagen um zu sehen, was denn gerade so läuft. Irgendwas war schon dabei und wenn nicht, hat man halt durch die Programme gezappt (zumindest seit es Fernbedienungen gab oder man Kinder hatte).

Erklär das doch mal einem heute 12-Jährigen. Der wird dich ganz schräg anschauen… Jaja, Opa erzählt wieder vom Krieg… So eine Bevormundung ist für die ihn als Vertreter der Generation Z kaum vorstellbar.

Und er hat Recht damit. Nur haben wir es einfach nie in Frage gestellt, weil… nun ja, weil es eben „immer“ schon so war. Nur dass „immer“ eigentlich noch nicht einmal 100 Jahre her ist, seit das Fernsehen in Deutschland eingeführt wurde.

Für Innovationen braucht es jemanden, dem es gelingt, diese wahnsinnig fest eingefahrenen Strukturen zu durchbrechen, zu erkennen, dass das, was so ist, weder immer so war noch unbedingt so sein muss.

[Tweet „“Das ham wir immer schon so gemacht“ ist ein schlechter Ratgeber“]

Ich habe in diesem Beitrag einige Beispiele gesammelt, die zeigen: Was wir so als „gottgegeben“ hinnehmen, ist eigentlich oft völlige Willkür oder basiert auf längst überholten Grundlagen. Vielleicht hilft uns das, ab und zu  mal den Mut zu haben, den Status Quo zu hinterfragen. Und wirkliche Innovationen zuzulassen.

1) Der 8-Stunden-Arbeitstag

Er ist so sehr in der Gesellschaft verankert, dass „9 to 5“ ein geflügeltes Wort geworden ist – der 8-Stunden-Arbeitstag. Im Zuge der Diskussion um „New Work“ wird endlich an diesem Konstrukt gerüttelt. Aber in vielen Unternehmen ist er immer noch unantastbarer Standard.

Wie kam es bloß dazu? Wie kann es sein, dass quasi alle Menschen (zumindest in der westlichen Welt) genau 8 Stunden am Tag produktiv arbeiten können und sollen? Egal ob sie als Sachbearbeiter/in, Bauarbeiter/in oder Lagerarbeiter/in ihre Brötchen verdienen?

Ein Blick in die Geschichte offenbart: Die 8 Stunden stammen aus der Zeit der Industrialisierung, als der 24-Stunden-Tag in 3 Schichten zu je 8 Stunden eingeteilt wurde. Und das wurde eben bis heute beibehalten. Sinnvoll und vor allem für jede/n Arbeitnehmer/in und jede Branche gleichermaßen passend ist das absolut nicht. Es gibt viel produktivere Arbeitsmuster und Studie um Studie zeigt, dass von den 8 Stunden am Tag ohnehin nur ein winziger Bruchteil wirklich produktiv gearbeitet wird.

2) Das QWERTZ-System

Wir alle tippen auf den gleichen Tastaturen. In unserem Sprachraum sind diese nach dem QWERTZ-Muster aufgebaut (bzw. QWERTY im englischen Sprachraum). Und wir haben gelernt, damit einigermaßen schnell und sicher zu schreiben.

Da wird das doch wohl das beste System sein, das wir kennen, oder? Nun, nicht ganz. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden deutlich bessere Tastenanordnungen entwickelt, die ein schnelleres und deutlich fehlerärmeres Tippen ermöglichen. Durchsetzen konnte sich keines, weil QWERTZ einfach zu fest verankert ist.

Doch wie entstand das QWERTZ-System? Es stammt noch aus Zeiten der Schreibmaschinen. Man hat damals einfach Buchstaben, die oft zusammen verwendet werden, weiter auseinandergelegt, damit sich die Schreibmaschinentasten nicht verhaken.

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass wir heute nur noch selten Opfer dieser Problematik sind. Aber wir haben das System beibehalten, obwohl es eindeutig die schlechtere Variante ist. Warum? Nun, einzig und allein aus dem Grund, „weil wir es immer schon so gemacht haben“.

3) Die abgeschnittenen Enden

Das dritte Beispiel habe ich mal in irgend einem Buch gelesen, weiß aber leider nicht mehr wo (wenn es jemand weiß – ich ergänze die Quelle gern). Der Verfasser berichtete von folgendem Erlebnis.

Seine Frau machte einen sehr leckeren Braten nach altem Familienrezept. Allerdings schnitt sie, bevor sie ihn in den Ofen schob, immer die Enden ab. Lange Zeit hat das niemand hinterfragt, es war einfach ihre Art, den Braten zuzubereiten.

Eines Tages packte ihn die Neugier und er fragte seine Frau: „Du sag mal, dein Braten ist wirklich toll. Aber warum schneidest du eigentlich immer die Enden ab?“ Die Frau dachte kurz nach, dann fiel ihr auf, dass sie es selbst nicht so genau wusste. Sie hatte es so von ihrer Mutter gelernt. Aber warum, war ihr auch nicht klar.

Also fragte sie bei ihrer Mutter nach. Und die hatte die Lösung. Sie selbst hatte es nämlich von ihrer Mutter so gelernt. Der Grund war, dass die (Groß-)Mutter eine recht kleine Bratenform hatte, in die ein größerer Braten nicht hineinpasste. Also musste sie immer die Enden des Bratens abschneiden, um den Braten in die Form legen zu können, bevor es in den Ofen ging. Diese „Tradition“ hat sich weitervererbt, auch wenn spätestens mit dem Erwerb der nächsten, größeren Bratenform kein sachlicher Grund mehr dafür bestand. Das ham wir halt immer schon so gemacht.

Deswegen…

Hinterfrage doch mal die Prozesse in deinem Unternehmen, die schon lange so bestehen. Gibt es dafür wirklich einen (sinnvollen) Grund? Kann man es nicht vielleicht noch viel eleganter, schneller, günstiger, effektiver lösen? Und wo stehst du selbst Innovationen im Weg, einfach weil du es „immer schon so“ gemacht hast?

 

Felix Beilharz

Über den Autor

Felix Beilharz ist "einer der führenden Berater für Online- und Social Media Marketing" (RTL) und "gehört zu den besten Rednern Deutschlands" (WAZ).

Seit 2022 ist Felix im Online-Marketing unterwegs. Er hat Vorträge, Seminare und Workshops in 16 Ländern gehalten, 10 Bücher geschrieben und zählt 22 der 100 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands zu seinen Kunden.

Felix unterrichtet an mehreren Hochschulen in Deutschland und der Schweiz und ist regelmäßig als Experte in TV, Radio und Print-Medien zu Gast.


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