Köln wurde bereits vor Jahren als „Digital-Hauptstadt“ bezeichnet. Die Stadt Köln bezeichnet unsere Metropole auf ihrer Website als „Internetstadt Köln“. Grund genug, mal einen Blick auf den Oberbürgermeister-Wahlkampf 2020 zu werfen. Wie digital sind die Kandidaten, die unsere Stadt künftig führen wollen? Spoiler: Nicht sehr.
Ich habe mir alle 13 Kandidaten zur Ob-Wahl 2020 genauer angeschaut.
- Was ist über sie im Netz zu finden?
- Welche Social Media Kanäle betreiben sie?
- Wie erfolgreich sind sie dort?
Um ehrlich zu sein war die Analyse sehr viel schneller fertig als ich gedacht hätte. Der Grund: Einige der Kandidaten nutzen überhaupt keine sozialen oder digitalen Medien zur Vermarktung ihrer Person.
Die Ergebnisse im Überblick
- Nur fünf der 13 Kandidaten haben eine eigene Website.
- Ebenfalls nur fünf betreiben eine Facebook Fanpage für ihre (öffentliche) Person.
- Nur drei Kandidaten investieren in Facebook-Werbung. Und das auch nur mit sehr geringen Beträgen.
- Herausforderer Roberto Campione gab bisher mehr Geld für Facebook Werbung aus (593€) als OB Reker (353€).
- Immerhin acht Kandidaten sind bei Instagram – allerdings teilweise ohne Posts oder mit privat eingestelltem Profil
- Oberbürgermeisterin Henriette Reker ist auf allen Kanälen die Follower-stärkste Kandidatin. Zusammengenommen folgen ihr fast 30.000 Menschen.
- Twitter ist der beliebteste Kanal. Neun der 13 Kandidaten betreiben ein Profil. Fünf davon allerdings mit nur ein- oder zweistelligen Followerzahlen…
- Einen eigenen Youtube-Kanal betreiben nur vier Kandidaten. Signifikante Follower- oder Aufrufzahlen hat niemand.
- Andreas Kossiski (SPD) betreibt als einziger (!) einen Blog und einen Podcast.
- Drei Kandidaten haben weder eine eigene Website noch irgend einen Social Media Kanal.
- Den momentan bei jungen Menschen beliebtesten Kanal TikTok lassen alle Kandidaten außen vor.
Im Folgenden analysieren wir alle Kandidaten auf ihre digitale Sichtbarkeit.
Die Kandidaten im Digital-Check
Sabine Neumeyer (parteilos)
Sabine Neumeyer hat zumindest etwas, was längst nicht jede/r Kandidat/in hat – eine eigene Website. Allerdings setzt sie dabei auf eine kostenlose und wenig professionelle Jimdo-Baukastenseite.
Bei Twitter hat sie immerhin 638 Follower und liegt damit nach Henriette Reker und Andreas Kossiski auf Platz 3.
Bei YouTube hat noch keines ihrer Videos eine dreistellige Aufrufzahl erreicht.
Andere Kanäle zu ihrer Person sind nicht auffindbar (nur zu der Bewegung „Up 2020“, jedoch nicht für sie als OB-Kandidatin).
Henriette Reker (parteilos)
Henriette Reker bringt den Oberbürgermeisterinnen-Bonus mit, was sich klar in ihren Follower-Zahlen zeigt. Sie ist auch auf (fast) allen Kanälen aktiv.
Neben einer professionellen und ansprechenden Website betreibt sie eine Facebook-Fanpage mit fast 13.000 Followern, ein Instagram-Profil mit über 5.000 Abonnenten sowie einen Twitter-Kanal mit über 11.000 Followern. Ihr YouTube-Channel hingt mit gerade mal 21 Followern und knapp 6.000 Gesamt-Aufrufen deutlich hinterher.
Christer Cremer (AfD)
Die AfD ist auf Bundesebene die stärkste Partei im Social Web und auch das Spitzenperson weist die höchsten Followerzahlen und Interaktionsraten auf. Ist das auch in Köln der Fall?
AfD-Kandidat Christer Cremer wird weder seinem Millennial-Status noch seiner eigentlich sehr social media-affinen Partei gerecht. Er betreibt weder eine Website noch ist er auf Facebook oder YouTube zu finden. Gerade einmal auf Twitter (106 Follower) und Instagram gibt es einen Kanal. Letzterer jedoch noch ohne Posts.
Andreas Kossiski (SPD)
Der größte Herausforderer von Henriette Reker ist Andreas Kossiski (SPD). Und zumindest mit Blick auf die digitalen Medien sieht es gut aus: Er ist der aktivste Kandidat.
Neben einer speziellen Kampagnen-Website für seine Person (die allerdings nochmal in Bezug auf die Datenschutzeinstellungen und Tracking-Dienste nachbessern sollte), betreibt Kossiski eine Facebook-Fanpage mit knapp 1.800 Fans und einen Instagram-Channel mit über 1.000 Followern. Auch bei Twitter kratzt er gerade an der 1.000er-Marke. Sein YouTube-Engagement ist ausbaufähig, aber immerhin hat er bereits einige Videos hochgeladen.
Als einziger Kandidat setzt Kossiski darüber hinaus auch auf einen Podcast und einen eigenen Blog.
Der SPD-Kandidat investiert auch als einziger einigermaßen signifikant in Facebook-Werbung. Bisher gab er rund 3.300€ auf der Plattform aus.
Roberto Campione (parteilos)
Der Italiener Roberto Campione ist momentan nicht nur mit Plakaten in Köln recht sichtbar, sondern auch online verhältnismäßig gut aufgestellt. Er betreibt eine ansprechende Website, auf der auch Inhalte seiner Social Media Kanäle eingebunden sind (was sonst keiner der Kandidaten so handhabt).
Auf Facebook folgen ihm immerhin über 1.400 Bürger, womit er hinter Reker und Kossiski knapp auf Platz 3 liegt. Campione investiert auch zumindest ein bisschen Geld in Facebook-Werbung (knapp 600 Euro seit 2018). Bei Instagram folgen ihm ca. 270 Personen, bei Twitter allerdings erst 13.
Nicolin Gabrysch (Deine Freund*Innen / Klimaliste)
Nicolin Gabrysch von der Klimaliste hält offenbar wenig von digitalen Medien für die Vermarktung ihrer Person. Sie betreibt keine Website, ist bei Facebook nicht auffindbar und hat keinen YouTube-Channel. Ein Instagram-Profil ist zwar vorhanden, aber auf privat gestellt und daher kaum für den Wahlkampf geeignet.
Einzig auf Twitter ist Niclion Gabrysch aufzufinden. Ihre knapp 70 Follower bekommen aber fast ausschließlich Retweets zu sehen, eigene Tweets nutzt Gabrysch nicht.
Jörg Detjen (Die Linke)
Der Linken-Kandidat Jörg Detjen zieht ebenfalls die digitale Unsichtbarkeit vor. Weder eine Website noch ein Instagram-Profil noch ein YouTube-Channel sind zu finden. Auf Facebook ist er ausschließlich mit einem privaten Profil vertreten, wodurch er sich all die Möglichkeiten einer professionellen Fanpage entgehen lässt.
Der einzige wirkliche Kommunikationskanal im Wahlkampf ist sein Twitter-Profil, auf dem er immerhin ca. 130 Menschen erreicht und recht aktiv twittert.
Thor-Geir Zimmermann (GUT)
Die Analyse von Thor-Geir Zimmermanns digitaler Evolutionsstufe ist schnell abgeschlossen: Er ist überhaupt nicht auffindbar. Keine Website, kein Social Media. Seine Partei mag sich GUT nennen – sein digitaler Wahlkampf ist es definitiv nicht.
Robert Nussholz (parteilos)
Zur Abwechslung mal wieder ein aktiverer OB-Kandidat. Robert Nussholz betreibt eine Website unter der vielversprechenden Domain ob2020.koeln und eine Facebook-Fanpage unter gleichem Namen, der aktuell ca. 70 Menschen folgen.
Auch bei Instagram ist Nussholz aktiv, wenn auch mit noch sehr geringer Reichweite (ca. 30 Follower). Auch Twitter steckt mit 11 Followern noch in den Kinderschuhen, aber immerhin ist ein Auftritt vorhanden. Und sogar auf YouTube hat Nussholz einige Videos hochgeladen, die aber insgesamt weniger als 350x aufgerufen wurden.
Rüdiger-René Karl Maria Keune (ÖDP)
Rüdiger-René Karl Maria Keune von der ÖDP gehört eindeutig zu den aktiveren Kandidaten. Zwar verzichtet er auf eine Website, betreibt aber eine Facebook-Fanpage (mit immerhin 320 Abonnenten) und einen Instagram-Auftritt, dem ca. 470 Bürger folgen. Das ist für einen Vertreter der kleineren Parteien schon recht ordentlich.
Twitter (ca. 40 Follower) und YouTube (13 Follower) sind ebenfalls vorhanden, wenn auch noch sehr klein.
Martin Josef Przybylski (parteilos)
Martin Josef Przybylski ist ebenfalls schnell analysiert: Bis auf ein privates Facebook Profil ist er im Internet völlig unsichtbar.
Olivier Fuchs (Volt)
Besonders enttäuscht hat mich Olivier Fuchs von Volt. Bei einer so jungen Partei (sowohl von der Mitgliederstruktur als auch der Bestehensdauer her) hätte ich ein starkes digitales Engagement erwartet. Stattdessen: bis auf einen Instagram-Kanal mit immerhin ca. 100 Followern verzichtet Fuchs kokmplett auf digitale Wahlkampf-Medien. Bei Facebook ist er zwar angemeldet, aber nur mit einem privaten Profil. Eine Fanpage für seine öffentliche Person gibt es nicht.
Dagmar Langel (Wir sind Köln 2020)
Und auch Dagmar Langel lässt sich schnell abhaken: Keinerlei digitale Kanäle vorhanden.
Spätestens seit Barack Obamas erstem Wahlerfolg ist klar: Das Internet und vor allem die Social Media sind für einen Wahlkampf erfolgsentscheidend. Und auch sein Nachfolger Donald Trump verdankt seinen Wahlerfolg zu einem großen Teil seinem ausgeprägten Engagement im Social Web (vor allem Twitter).
Trumps Kampagne gab zwischen 2018 und 2020 über 60 Mio. US-Dollar für Facebook-Werbeanzeigen aus. Auf Twitter folgen ihm 85 Mio. Menschen. Da kann Joe Biden nicht mithalten. Also versucht das Team des Herausforderers, mit hohem finanziellen Invest mitzuhalten: aktuell gibt Biden fast 1 Mio. US-Dollar pro Tag auf Facebook aus, fast doppelt so viel wie Trump.
Diese Zahlen erreichen wir in Deutschland natürlich nicht. Aber auch hier sind Auftritte und aktive Kommunikation im Social Web für Politiker unverzichtbar. Nirgends sonst ist die Bürgernähe so groß und gerade in Zeiten von Corona, wo Wahlkampfveranstaltungen im „echten“ Leben schwierig sind, bieten die sozialen Medien die beste Möglichkeit, mit den Wählern in Dialog zu treten.
Aber auch als „Verlängerung“ der traditionellen Maßnahmen sind digitale Medien wichtig. Wenn ein Bürger ein Wahlplakat sieht und sich im Internet über den Kandidaten informieren will – findet er überzeugende Auftritte? Findet er einen aktiven Facebook-Kanal (mit einer relevanten Follower-Zahl), findet er mitreissende Videos auf YouTube, findet er eine moderne und vertrauenserweckende Website?
Zumindest im Falle der Kölner OB-Kandidaten lässt sich festhalten: In vielen Fällen leider nichts davon. Ein klares Versäumnis im Kölner Wahlkampf.
Dabei gäbe es so viele Möglichkeiten, sich kostengünstig oder sogar kostenlos den Bürgern zu präsentieren und eine Beziehung aufzubauen:
- Vlogs aus dem Wahlkampf via YouTube
- Bürgerfragen beantworten im Live-Stream auf Facebook
- Persönliche Einblicke „hinter die Kulissen“ via Instagram
- Kurze, knackige Statements auf TikTok
- Ausführlichere Stellungnahmen und Positionen im Blog
- Interviews und Meinungen im Podcast
- News und Aktuelles via Twitter
- Information der Wähler über Facebook
- Gezielte Ansprache von potenziellen Wählern über Werbeanzeigen
- Nachhaltiger Dialog und Reichweitenaufbau mittels Newsletter
- Wählerbindung über Quizze und Spiele via Chatbot
- u.v.m.
Fast nichts davon ist im Kölner OB-Wahlkampf zu finden. Und das im Jahr 2020 in der angeblichen „Digital-Hauptstadt“. Schade.
Kölner Selbstbeweihräucherung, "Frohsinn", "Spasss" und Klüngel – das funktioniert aber zuverlässig.
Ich möchte die KandidatInnen kaum verteidigen (Fahrradfreundliche Stadt, bitte!), doch die Masse der Eingeborenen und Neigschmeckden ist in Köln vielleicht doch eher mit der Bierfläsch auf dem Brüsseler Platz oder am Zülpicher-Str.-Mäuerchen als im virtuellen Raum bekannt gesprächig?
Lieber Herr Beilharz,
grundsätzlich gute Recherche, das Fazit finde ich aber zu einseitig: die Bewertung erfolgt nur nach Häufigkeit und nicht nach Ziel der Kommunikationsmaßnahmen (in meinem Fall eben nicht "Vermarktung meiner Person", Volt ist ein Team, und wir nutzen gemeinsame Kanäle) und Zielgruppe (viele Mitbürgerinnen und Mitbürger werden durch andere Kanäle immer noch besser erreicht.
Damit, dass ich kein social media Crack bin, haben Sie sicher recht – bei meinem Instagram-Account hat mir mein Jüngster geholfen – aber mit Kommunikations-Gesamtkonzepten habe ich schon einige Erfahrung.
Beste Grüße und verfolgen Sie uns gerne weiter, ich fand das sehr interessant!
Olivier Fuchs
Volt Europa
In dieser Analyse habe ich ausschließlich die Personen-Accounts der Bewerber untersucht, nicht die Partei-Kanäle oder sonstige Auftritte. Von daher: klar, einseitig. Aber das liegt einfach an der Zielsetzung der Analyse. Wenn wir mal eine Analyse zu Auftritten der Parteien oder Bewegungen machen, sieht's sicher anders aus ?
und da freue ich mich schon drauf ☺
Hallo Herr Beilharz,
nachträglich bedanke ich mich für ihre gute Analyse, werde mich der digitalen Linie in Zukunft mehr widmen, bin jetzt auch viel mehr auf youtube aktiv weiters lade ich Sie gerne ein uns bei der Amerika Demo am 31.10. ab 13 Uhr am Dom RoncalliPlatz zu besuchen! Wir werden mit einem roten Doppeldecker und einigen Rednern und Amerikanischer Musik vor Ort sein! Sie können gerne auch zum Thema Amerika eine Rede halten?
Freuen uns…Grüße Sabiné Neumeyer Ex OB Kandidatin
Danke für die Einladung, aber ich glaube nicht, dass Sie meine Meinung zu Trump auf ihrer Demo hören wollen… ?