04.08.2020

6 Kommentare

LinkedIn ist neben TikTok der wohl derzeit am stärksten gehypte Social Media Kanal. Und das völlig zu Recht: LinkedIn bietet aktuell hohe organische Reichweite und ein einigermaßen seriöses Business-Umfeld.

Leider zieht LinkedIn damit auch die typischen Nervensägen an, die Sinn und Zweck von Social Networking und Social Selling nicht verstanden haben und stattdessen lieber in guter alter Hardseller-Manier das Netzwerk abgrasen.

Die 6 schlimmsten LinkedIn-Nervensägen habe ich hier zusammengestellt – aber auch einige Tipps, wie es besser geht.

1. Der Phrasen-Klopfer

Ich stelle mir das so vor: wenn ein schlechter Vertriebler geboren wurde und die ersten Lebensmonate überstanden hat, warten die Eltern mit jedem Tag gespannter auf das erste Wort ihres Wonneproppens. Irgendwann ist es so weit: Das Brabbeln wird deutlicher, Mama und Papa beugen sich voller Erwartung mit großen Augen nach vorne, die Stimmung ist zum Zerreissen gespannt. Was wird er wohl als Erstes sagen?? „Mama“? „Papa“? Plötzlich passiert es: die ersten Worte! Als ob er nie etwas anderes getan hätte, plappert der kleine Balg los: „Kontakte schaden nur dem, der keine hat!“

Natürlich habe ich für dieses Szenario keine Beweise, aber vorstellbar finde ich es durchaus. Irgendwie haben es diese Uralt-Vertriebs-Floskeln jedenfalls aus den Besprechungszimmern der 80er in die Sozialen Netzwerke geschafft und sind dort häufiger anzutreffen als Amigos-CDs in Wohnzimmer-Regalen deutscher Großeltern.

Ein für alle Mal: diese platten Sprüche sind kacke! Und da hilft es auch nichts, ihnen einen corona-modernen Anstrich zu geben…

2. Der Pseudo-Interessierte

Dank Social Media stehen uns mehr Informationen über potenzielle Kontakte bereit als jemals zuvor. Ein Vertriebler der 80er Jahre würde eine Mischung aus Herzkasper und Orgasmus bekommen, wenn er sehen würde, wie viel man über seinen Wunschkunden im Netz erfahren kann.

Warum um alles in der Welt werde ich dann mit so einer dämlichen Standard-Massenfrage geohrfeigt?

Ein kurzer Blick in Facebook oder Instagram hätte doch gezeigt, dass ich mich durchaus mit „dem Thema Fitness“ beschäftige und das schon länger als der hier rausgeschwärzte Keynote-Speaker, Coach und Unternehmer das Wort überhaupt schreiben kann.

Wie einfach wäre der Erstkontakt doch gewesen… „Hey, ich habe auf Instagram gesehen, dass du schon mit Lou Ferrigno trainiert hast. Wie ist der so drauf?“ Schon hätte er meine volle Aufmerksamkeit, ich würde mich geschmeichelt fühlen und von mir und meinem Erlebnis erzählen. Einen besseren Einstieg gibt es doch gar nicht.

Leider war ich ihm offenbar diese paar Minuten der Recherche nicht wert. Also klebt er mir lieber seine Pseudo-Frage nach dem Motto „Bist du öfters hier?“ an die Backe. Danke, kein Interesse.

Genau so fadenscheinig ist übrigens die Floskel nach dem Motto „Seit wann sind Sie schon in [Gebiet, in dem ich Ihnen was verkaufen will] tätig?“

Alter, auch diese Information findest du nicht nur direkt in meinem Profil, sondern auch sonst überall im Netz verstreut. Lange. Ich bin lange in diesem Gebiet tätig. Länger als du. Länger als dein Auftraggeber, der dir die Provision bezahlst, wenn du ein „Strategiegespräch“ (a.k.a. Sales Call) mit mir klarmachst. Und ich werde auch noch in dem Thema tätig sein, wenn du schon längst auf den nächsten Hype aufgesprungen bist und dort dein Glück versuchst.

Auch hier der So-Geht’s-Besser-Tipp: „Hallo Herr Beilharz, ich habe gesehen, Sie haben Ihr erstes Buch im Online-Marketing bereits 2009 geschrieben. Wow, damals habe ich noch [mit Puppen gespielt/Pickel gehabt/Justin Bieber angehimmelt]. Darf ich Ihnen dazu mal telefonisch ein paar Fragen stellen? Vielleicht haben Sie ja auch noch etwas Feedback zu meinem Angebot – das würde mir sehr helfen.“

Mehraufwand: 5 Minuten. Chancen-Steigerung auf einen Call: 5.000%.

Aber ja, ich weiß, steht halt nicht im Akquise-Skript von [beliebigen Coaching-Reichwerden-Typen einfügen]. Also wird’s halt nicht gemacht. Schade.

3. Der Bot

Ein nicht ganz geringer Teil der dämlichsten Kontaktanfragen und Akquise-Mails kommt leider gar nicht von Menschen, sondern von Software a.k.a. Bots. Irgendwie glauben immer noch viele Vertriebler (und leider auch manche Vertriebstrainer), dass es eine gute Idee sei, direkt beim Erstkontakt dem potenziellen Kunden eine fette Lüge aufzudrücken. Nämlich die Lüge, ein Mensch zu sein, der sich für mich interessiert.

Achtung: Ich habe überhaupt nichts gegen Bots. Gut gemachte Chatbots sind ein tolles Werkzeug um z.B. den Kundenservice zu verbessern, die Hotlines zu entlasten, Leads zu generieren oder Kundenbindung zu stärken.

Was ich aber überhaupt nicht leiden kann, ist, wenn mir jemand vorgaukelt, Interesse an meiner Person zu haben – in Wirklichkeit aber aber nur einen Bot vorzuschicken, der sich als interessierter Kontakt ausgibt. Das nervt schon auf Instagram („Great post, keep it coming! ?“), aber auf LinkedIn noch viel mehr!

Social Networking und Social Selling ist – am Namen könnte man es schon erkennen – SOCIAL! Also von Mensch zu Mensch. Wer Bots einsetzt, die sich als interessierter Mensch ausgeben, der quält auch kleine Katzenbabies und hört Die Amigos – gleichzeitig!

4. Der Hardseller

Der Hardseller lässt nichts anbrennen und kommt gleich zur Sache. Von „Social Selling“ hat er vor allem eines verstanden – Selling! Das „Social“ hält er für übertrieben, unnötig, Zeitverschwendung. Wenn er einen guten Tag hat, deckt er den Social-Teil durch eine Pseudo-Frage nach obigem Muster ab, am liebsten knallt er dir aber gleich seinen Pitch vor die Füße – ob du willst oder nicht.

Der Pitch kommt entweder direkt in der Kontaktanfrage oder – wenn er eher schüchtern und vorsichtig ist – direkt in der ersten Mail nach der Kontaktannahme. Wie, es besteht noch gar keine Beziehung, noch gar kein Vertrauensverhältnis und vermutlich auch gar kein Bedarf? Na und? Kein Grund, nicht zu pitchen. Und wenn’s nicht klappt, zieht man halt zum nächsten Opf… äh „spannenden Kontakt“ weiter. Gibt ja genug auf LinkedIn.

Diese Nachricht bekam die CFO von Werdewelt (die ja selbst Websites erstellen) direkt nach einer Kontaktbestätigung:

Der So-Geht’s-Besser-Tipp darf auch hier nicht fehlen: Niemand möchte in der ersten Mail direkt nach dem Kontakt einen Pitch hören.

Das ist so, wie wenn du eine Frau kennen lernst, sie dir ihren Namen verrät und dein erster Satz direkt danach lautet:

 „Willst du nicht auch besseren Sex? Mit meiner neu entwickelten Dreh-und-Zwirbel-Methode haben meine Sexualpartnerinnen im Schnitt 37% besseren Sex. Würde dir ein Termin am Dienstag oder Mittwoch besser passen, damit ich dir Dreh-und-Zwirbel mal vorführen kann“? 

 

Bau erstmal eine Beziehung auf. Stelle (ehrliche) Fragen. Stifte Nutzen. Gib Unterstützung. Und dann merkst du, ob ein Pitch überhaupt angebracht ist oder eher nicht. Und ja, das dauert deutlich länger als die Haudrauf-Methode. Bringt aber langfristig auch deutlich mehr.

5. Der schlüpfrige Schmierlapp

Offenbar haben es manche Vertriebler doch gemerkt, dass die Standard-Floskeln nicht mehr so richtig ziehen. Also haben sie sich hingesetzt und sich was wirklich Individuelles ausgedacht. Prima!

Aber muss das dann gleich so creepy werden, dass Donald Trumps Hinweise auf die sexuelle Attraktivität seiner Tochter fast schon sympatisch wirken??

Pracht-Lachs? Gegenseitig befruchten? Alter Schwede ?.

Ja, damit fällst du auf. Aber nein, damit bekommst du bei mir keinen Fuß in die Tür. Nicht einmal einen großen Zeh. Aber hey, immerhin kommst du damit in diesen Blogbeitrag. Ist doch auch schonmal was.

(Diesen Screenshot hat mir ein Bekannter zur Verfügung gestellt. Ich habe die Mail auch bekommen, sie aber leider direkt gelöscht, bevor ich auf die glorreiche Idee eines Screenshots kam.)

6. Der 17-jährige Reichmacher

Diese Welle ist leider von Facebook zu LinkedIn übergeschwappt. Wo bei Facebook in jeder zweiten Werbeanzeige der nächste augenscheinlich noch minderjährige Business-Coach lauert, der dich „auf dem Weg zu fünfstelligem Einkommen“ unterstützen will, kommen solche Angebote bei LinkedIn meistens per Kontaktanfrage.

Die Zielgruppe ist dabei egal. Da wird dem Geschäftsführer eines mittelständischen Marktführers genau so die Hilfe zum großen Durchbruch versprochen wie der Texterin, dem Freelancer oder der Agentur-Chefin.

Dahinter stecken in der Regel schnellballsystem-ähnliche Strukturen. Malte-Kevin-Jonas (Name von der Redaktion geändert) stößt via Facebook-Anzeige auf ein System, das ihm zum fünfstelligen Einkommen verhelfen soll. Also kratzt er sein Taschengeld zusammen und investiert in den „Super Masterclass Hero Ninja Kurs für fünfstelliges Einkommen und völlige Freiheit von Karla Trink“.

Dieser Kurs verspricht ihm einen Weg, wie er sich selbst so ein Business aufbauen kann wie die gute Karla. Und zwar indem er bei LinkedIn massenweise Leute anschreibt und ihnen verspricht, sie in wenigen Wochen zu fünfstelligem Einkommen zu führen. Und so weiter.

Aus Jugendschutzgründen verzichte ich hier mal auf einen Screenshot. Ihr wisst, wie diese Anfragen aussehen. Falls nicht: Herzlichen Glückwunsch, genieße es, solange es anhält!

5 (An-)Gebote für Social Networking auf LinkedIn

Dieser Blogbeitrag soll nicht (nur) Bashing sein, sondern auch konstruktive Tipps bringen. Deshalb hier mal in Kürze meine 5 (An-)Gebote für besseres Social Networking auf LinkedIn.

1. Sei Mensch, nicht Maschine

Menschen sprechen gerne mit Menschen. Niemand spricht aber gern mit Bots, die sich als Menschen ausgeben. Also verzichte auf Bots und ähnliche Software, auch wenn es noch so verlockend ist. Sei Mensch. Menschen mögen das.

2. Sei du, nicht jemand anderes

LinkedIn sollte DEIN Profil sein. Lass keine Assistenten oder Mitarbeiter zu Akquise-Zwecken dein Profil nutzen. Ich wurde schon X-Mal von mir persönlich bekannten Leuten, mit denen ich mich seit Jahren duze, als „Sehr geehrter Herr Beilharz“ angeschrieben. Schade, unnötig und nicht gerade vertrauensfördernd.

3. Sei individuell (aber wirklich)

Vergiss die platten Floskeln. Schreib Kontakte individuell an. Beziehe dich auf von ihnen gepostete Inhalte, relevante Punkte in ihrem Profil, etc. Je persönlicher, desto besser. Und nein, „du geiles Stück Menschheit“ ist nicht individuell, wenn du es an jeden schreibst (und vielleicht solltest du diese Formulierung lieber ganz bleiben lassen).

4. Erzeuge Sog, nicht Druck

Social Selling im besten Sinne heißt, dass du Content erzeugst, der wirklich überzeugt und Leute so von sich aus mit dir Kontakt aufnehmen wollen. Das kann durch Blogbeiträge, Videos, Podcast oder auch einfach LinkedIn-Posts geschehen.

Wie so etwas aussehen kann? Schau dir z.B. mal die Profile von meinen Kollegen Jan Stranghöner (Social Media Ads), Britta Behrens (Social Selling) oder Adil Sbai (TikTok) an. Die hauen so viel nutzwertige Inhalte raus, dass man ihnen einfach folgen WILL – und sie mit Sicherheit auch im Kopf hat, wenn es mal um eine konkrete Anfrage geht.

5. Gut Ding will Weile haben

Social Selling und Networking sind keine Quick Fix-Lösung, auch wenn es in manchen Kursen so angepriesen wird. Ein gutes Netzwerk ist wie ein Garten: Es braucht Pflege, gute Aussaat, ständiges Gießen und Düngen – sowas dauert einfach seine Zeit. Wer hofft, den Samen in die Erde zu pflanzen und direkt danach die Möhre auszubuddeln, hat das Prinzp nicht verstanden.

Die ultimative Vokabelliste

Und damit ihr künftig die Floskeln und Phrasen in eurem LinkedIn-Posteingang noch besser versteht, hier meine Vokabelliste LinkedIn – Deutsch / Deutsch – LinkedIn. Viel Spaß ?.

Wörterbuch LinkedIn - Deutsch
Wörterbuch LinkedIn – Deutsch

 

P.S.: Falls sich mal wieder jemand in den dargestellten Ausführungen wiederzuerkennen glaubt und seine Gefühle untragbar verletzt sieht – Abmahnungen bitte direkt an meinen Anwalt Niklas Plutte schicken. Oder einfach mal hinnehmen. Oder sogar das eigene Vorgehen reflektieren. Die Wahl liegt bei dir.

Und wenn du dich jetzt immer noch via LinkedIn mit mir connecten willst – ich freu mich auf deine Anfrage.

Felix Beilharz

Über den Autor

Felix Beilharz ist "einer der führenden Berater für Online- und Social Media Marketing" (RTL) und "gehört zu den besten Rednern Deutschlands" (WAZ).

Seit 2002 ist Felix im Online-Marketing unterwegs. Er hat Vorträge, Seminare und Workshops in 18 Ländern gehalten, 11 Bücher geschrieben und zählt 22 der 100 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands zu seinen Kunden.

Die Influencer-Analyseplattform Favikon rankt ihn als den einflussreichsten deutschen Experten im Digitalen Marketing. Über 110.000 Menschen folgen ihm in den sozialen Medien.

Felix unterrichtet an mehreren Hochschulen in Deutschland und der Schweiz und ist regelmäßig als Experte in TV, Radio und Print-Medien zu Gast.


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  1. Hallo Felix, der Prachtlachs war dann wohl bei mir… 😉 Selbst Karl hatte diesen Post von mir und der seltsamen Akquise-Methode heute nochmals in LinkedIn angesprochen…und ich musste wirklich nochmals schmunzeln. Kann man nicht irgendwas erfinden, um derlei Leute einfach aus SÄMTLICHEN Kanälen zu verbannen? Zauberspruch? Harry Potter-Attacke? De Maulwurf´n schicken?

  2. Mir gehen diese blöden Sprüche auf LinkedIn auch tierisch auf die Nerven. Die meisten Lesen nicht mal was im Profil steht.

    Daher hab ich angefangen solche Kontaktanfragen direkt abzulehnen. Ist mir egal was die wollen. Leider ist das aber nicht nur auf LinkedIn so. Andere Netzwerke sind da nicht besser.

    Nein ich will keine direkten Nachrichten von fremden mit Bildern, Audiodateien oder Videos sehen. Vielleicht bin ich aber auch zu kleinkariert?

    LG
    Ronny

  3. Guter Beitrag, lieber Felix. Bei mir trudeln auch ständig wahllos irgendwelche InMails ein alà "Wie wäre es, wenn Sie innerhalb 2 Tagen Ihren Jahresumsatz verdoppeln? Hört sich das gut für Sie an?“ Wahnsinn!

  4. Wow, wie großartig, vor allem der Absatz mit den Minderjährigen. Dazu habe ich auch schon mal etwas geschrieben, aber leider nicht so gut wie du.
    Ich habe meine LinkedIn-Aktivität tatsächlich vor ein paar Monaten an den Nagel gehängt, da mich vieles, was du ansprichst, echt sehr genervt hat.
    Der Hauptgrund war allerdings, dass mich das Schreiben nur mit dem Fokus auf Performance einfach abturnt. Ich will auch nichts über den Digital-Nomad-Lifestyle von anderen erfahren oder "die drei Gründe, warum ich noch kein Unternehmer bin".

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